Publié le 11 mai 2024

Absolute Brems-Sicherheit auf Alpenpässen hängt weniger von vorsichtiger Fahrweise ab als vom physikalischen Verständnis der Bremssysteme und ihrer thermischen Grenzen.

  • Die grösste Gefahr ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die unkontrollierte Umwandlung von Bewegungsenergie in Hitze, die zum Bremsversagen (Fading) führt.
  • Moderne Systeme wie Rekuperation und ABS sind keine Notfall-Helfer, sondern aktive Werkzeuge zum Management der Bremsenergie, die man bewusst einsetzen muss.

Empfehlung: Lernen Sie, die Energiebilanz Ihres Fahrzeugs bei der Talfahrt aktiv zu steuern, statt nur reaktiv auf die Pedale zu treten. Das ist der Schlüssel zur Vermeidung von Bremsversagen.

Eine Fahrt über den Gotthard, den Furka oder den Grimselpass gehört zu den eindrücklichsten Erlebnissen, die die Schweiz zu bieten hat. Doch mit der majestätischen Schönheit der alpinen Landschaft geht eine physikalische Herausforderung einher, die jeder Bergfahrer fürchtet: das Bremsversagen am Ende einer langen, steilen Abfahrt. Viele verlassen sich auf den altbekannten Rat, « einen kleinen Gang einzulegen und die Motorbremse zu nutzen ». Doch in einem modernen Fahrzeug, vollgepackt mit elektronischen Helfern und bei Elektroautos gar mit völlig neuen Antriebskonzepten, greift dieser Ratschlag zu kurz.

Die wahre Ursache für die Angst vor dem versagenden Bremspedal liegt nicht im Material selbst, sondern im mangelnden Verständnis für die enormen Energiemengen, die es zu bewältigen hat. Bei einer Passabfahrt wird die potenzielle Energie eines tonnenschweren Fahrzeugs fast vollständig in Wärme umgewandelt. Wird diese Wärme nicht effizient abgeführt oder anders genutzt, erreicht das System seine thermische Belastungsgrenze – mit katastrophalen Folgen. Dieser Artikel bricht mit den oberflächlichen Ratschlägen. Stattdessen tauchen wir tief in die Physik und Technik moderner Bremssysteme ein. Denn die entscheidende Frage lautet nicht mehr nur: « Wie bremse ich? », sondern: « Wie manage ich die Energie? ».

Dieser Leitfaden führt Sie durch die kritischen Aspekte der Bremssicherheit in den Alpen. Sie lernen die physikalischen Hintergründe von Bremsversagen kennen und verstehen, wie Sie die modernen Assistenzsysteme und Rekuperationsfähigkeiten Ihres Fahrzeugs strategisch nutzen, um jederzeit die volle Kontrolle zu behalten.

Warum rekuperatives Bremsen bei Elektro- und Hybridfahrzeugen die Reichweite um bis zu 20% erhöht?

Bei Elektro- und Hybridfahrzeugen hat das Bremsen eine neue, strategische Dimension erhalten. Anstatt Bewegungsenergie ausschliesslich in nutzlose Wärme umzuwandeln, kehrt die Rekuperation den Prozess um: Der Elektromotor wird zum Generator und speist Energie zurück in die Batterie. Diese Energierückgewinnung ist auf Passfahrten besonders effektiv. Die im Titel genannten 20% sind dabei oft nur ein unterer Schätzwert. In der Praxis, speziell auf den langen Gefällstrecken der Schweizer Alpen, ist das Potenzial weitaus grösser. Experten bestätigen, dass bei alpinen Fahrten Rekuperationsraten von 30 bis 50 Prozent realistisch sind.

Dieses Prinzip verändert die gesamte Energiebilanz einer Bergfahrt. Während ein Verbrenner bergab fast nur Energie in Form von Hitze und Lärm verliert, gewinnt ein E-Auto einen signifikanten Teil der für den Aufstieg benötigten Energie zurück. Das schont nicht nur die mechanischen Bremsen, die kaum noch thermisch belastet werden, sondern erhöht auch direkt die nutzbare Reichweite für die nächste Etappe.

Energieflussdiagramm bei der Rekuperation im Elektrofahrzeug, das den Energiefluss vom Rad zurück zur Batterie zeigt.
Rédigé par Stefan Brunner, Stefan Brunner ist Sicherheitsingenieur und zertifizierter Euro NCAP Crash-Analyst mit 16 Jahren Erfahrung in der Fahrzeugsicherheitsentwicklung. Er arbeitete für einen führenden Automobilzulieferer in der Schweiz und ist heute unabhängiger Gutachter für Fahrzeugsicherheit und ADAS-Systeme.