
Die Sicherheit auf Alpenpässen hängt nicht allein von der Motorbremse ab, sondern vom intelligenten Zusammenspiel aller Bremssysteme Ihres Fahrzeugs.
- Thermische Überhitzung (Fading) ist die grösste Gefahr, die durch eine falsche Bremstechnik auf langen Abfahrten wie am Gotthard entsteht.
- Moderne Assistenten (ABS, BAS, EBD) und die Rekuperation bei E-Fahrzeugen bilden ein systemisches Sicherheitsnetz, das Sie verstehen müssen.
Empfehlung: Verlassen Sie sich nicht auf alte Faustregeln. Lernen Sie die physikalischen Grenzen und die Funktionsweise der modernen Verzögerungs-Intelligenz Ihres Fahrzeugs kennen, um Bremsversagen aktiv zu verhindern.
Jeder erfahrene Bergfahrer in der Schweiz kennt ihn: den beissenden, heissen Geruch von Bremsen nach einer langen Passabfahrt. Es ist ein Alarmsignal, das die Urangst vor dem totalen Bremsversagen weckt. Die traditionelle Weisheit, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, lautet schlicht: „Motorbremse nutzen und in einem kleinen Gang fahren.“ Dieser Ratschlag ist zwar nicht falsch, aber für moderne Fahrzeuge gefährlich unvollständig. Er ignoriert die komplexe Realität der heutigen Bremsentechnologie und die physikalischen Kräfte, die auf Ihr Fahrzeug wirken.
Die Annahme, dass eine einzelne Massnahme ausreicht, um die Sicherheit zu gewährleisten, ist eine trügerische Vereinfachung. Die wahre Sicherheit liegt nicht in einem einzigen Trick, sondern im Verständnis der systemischen Verzögerung – dem intelligenten Zusammenspiel von mechanischer Reibung, elektronischen Assistenten und der kinetischen Energiewandlung durch Rekuperation. Die eigentliche Frage ist nicht, ob Sie die Motorbremse nutzen, sondern: Verstehen Sie, wie Ihr Auto als Gesamtsystem die enorme Energie eines talwärts rollenden Fahrzeugs sicher abbaut?
Dieser Leitfaden bricht mit den alten Mythen. Statt oberflächlicher Tipps tauchen wir tief in die Physik der Bremsvorgänge ein. Wir analysieren, warum Bremsen am Gotthard überhitzen, wie elektronische Systeme wie ABS, BAS und EBD als Ihre letzte Lebensversicherung fungieren und wie Sie durch angepasste Fahrweise das Potenzial der Rekuperation voll ausschöpfen. Ziel ist es, Ihnen das Expertenwissen zu vermitteln, um nicht nur sicher, sondern mit voller Kontrolle und Systemverständnis die anspruchsvollsten Schweizer Pässe zu meistern.
Um Ihnen eine klare Struktur für dieses kritische Wissen zu bieten, gliedert sich der Artikel in die folgenden Abschnitte. Jeder Teil baut auf dem vorherigen auf und führt Sie von den Grundlagen der modernen Technologie über die physikalischen Gefahren bis hin zu konkreten Handlungsanweisungen für maximale Sicherheit.
Inhaltsverzeichnis: Der komplette Leitfaden für Bremssicherheit in den Alpen
- Warum rekuperatives Bremsen bei Elektro- und Hybridfahrzeugen die Reichweite um bis zu 20% erhöht?
- Wie testen Sie auf einem sicheren Parkplatz, ob Ihre Bremsen noch die volle Verzögerungsleistung bringen?
- ABS vs. Bremsassistent vs. elektronische Bremskraftverteilung: welches System rettet Sie in welcher Notsituation?
- Die tödliche Überhitzung: warum Dauerbremsung auf der Gotthardabfahrt zu Bremsversagen führt
- Wie maximieren Sie die Energierückgewinnung durch angepasste Fahrweise und rekuperieren 30% mehr?
- Warum abgefahrene Bremsbeläge Ihren Bremsweg bei 80 km/h um 12 Meter verlängern: die lebensbedrohliche Verzögerung?
- Wie berechnen Sie Ihren realen Anhalteweg bei 100 km/h auf nasser Schweizer Autobahn?
- Wann der Wechsel der Bremsbeläge überlebenswichtig wird und wie Sie den richtigen Zeitpunkt erkennen
Warum rekuperatives Bremsen bei Elektro- und Hybridfahrzeugen die Reichweite um bis zu 20% erhöht?
Das Konzept der Rekuperation ist eine der grössten Revolutionen in der Fahrzeugverzögerung seit der Erfindung des ABS. Anstatt wie bei einer konventionellen Bremse die gesamte Bewegungsenergie des Fahrzeugs durch Reibung in nutzlose Wärme umzuwandeln, kehrt die Rekuperation den Prozess um. Der Elektromotor wird zum Generator: Er nutzt die kinetische Energie des rollenden Fahrzeugs, um Strom zu erzeugen und diesen zurück in die Batterie zu speisen. Dieser Prozess der kinetischen Energiewandlung bremst das Fahrzeug effektiv ab, ohne die mechanischen Bremsen zu beanspruchen.
Der Effekt auf die Reichweite ist signifikant, besonders in der Topografie der Schweiz. Bei Bergabfahrten kann ein Grossteil der Energie, die für den Anstieg benötigt wurde, zurückgewonnen werden. Konkret kann die Rekuperation die Reichweite um 50 bis 100 Kilometer erhöhen, wie Messungen des ADAC bei mittelgrossen E-Autos zeigen. Dies entspricht oft einer Steigerung von 15 bis 20 Prozent der Gesamtreichweite. Für Bergfahrer bedeutet das nicht nur mehr Kilometer pro Ladung, sondern vor allem eine massive Entlastung der mechanischen Bremsanlage. Auf einer langen Passabfahrt kann die Rekuperation den Grossteil der Verzögerungsarbeit leisten und die Betriebsbremse für echte Notsituationen kühl und einsatzbereit halten.
Diese „Bremse, die Energie gewinnt“ ist somit mehr als nur ein Effizienz-Feature. Sie ist ein fundamentaler Baustein der systemischen Verzögerung und ein entscheidender Sicherheitsfaktor in den Alpen, der die thermische Belastungsgrenze der konventionellen Bremsen schützt.
Wie testen Sie auf einem sicheren Parkplatz, ob Ihre Bremsen noch die volle Verzögerungsleistung bringen?
Bevor Sie sich auf eine anspruchsvolle Passfahrt begeben, ist ein grundlegender Vertrauenscheck Ihrer Bremsanlage unerlässlich. Ein einfacher Test, den Sie auf einem leeren, grossen Parkplatz oder einem verkehrsarmen Industriegebiet durchführen können, gibt Ihnen ein erstes Gefühl für die Leistungsfähigkeit. Beschleunigen Sie Ihr Fahrzeug auf eine moderate Geschwindigkeit von etwa 40-50 km/h und führen Sie eine kontrollierte, aber feste Vollbremsung durch. Achten Sie dabei auf mehrere Indikatoren: Zieht das Fahrzeug stark in eine Richtung? Vibriert das Lenkrad oder das Bremspedal übermässig? Fühlt sich das Pedal „schwammig“ oder weich an? Und vor allem: Ist die Verzögerung kräftig und linear?

Ein gesundes Bremssystem bringt das Fahrzeug ohne Drama und mit einem festen Pedalgefühl schnell zum Stehen. Jede Abweichung von diesem Verhalten ist ein Warnsignal. Dieser simple Test ersetzt jedoch keine professionelle Diagnose. Er kann unsichtbare Probleme wie eine alternde Bremsflüssigkeit, eine ungleiche Bremskraftverteilung oder Haarrisse in den Bremsscheiben nicht aufdecken. Wer absolute Gewissheit will, kann einen professionellen Bremstest in einem der 19 Technischen Zentren des TCS durchführen lassen, die über modernste Bremsprüfstände verfügen. Dort wird die exakte Verzögerungsleistung achsweise gemessen und mit den Herstellervorgaben verglichen – ein unverzichtbarer Check für jeden sicherheitsbewussten Bergfahrer.
ABS vs. Bremsassistent vs. elektronische Bremskraftverteilung: welches System rettet Sie in welcher Notsituation?
Moderne Fahrzeuge verfügen über eine ganze Armada an elektronischen Helfern, die als „Verzögerungs-Intelligenz“ zusammenarbeiten, um Sie in kritischen Situationen zu schützen. Das Verständnis ihrer spezifischen Rollen ist entscheidend, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen und sich nicht in falscher Sicherheit zu wiegen. Die drei wichtigsten Systeme sind das Antiblockiersystem (ABS), der Bremsassistent (BAS) und die elektronische Bremskraftverteilung (EBD).
Diese drei Systeme bilden ein synergetisches Team, das weit über die Fähigkeiten eines Fahrers ohne elektronische Unterstützung hinausgeht. Während das ABS die Lenkbarkeit bei einer Vollbremsung sichert, sorgt der BAS dafür, dass das volle Potenzial der Bremsanlage auch bei zögerlicher Reaktion genutzt wird. Die EBD wiederum agiert permanent im Hintergrund als intelligenter Regler, der die Bremsbalance an die dynamischen Bedingungen anpasst – eine absolut kritische Funktion bei Kurvenbremsungen auf Passstrassen oder bei unterschiedlicher Beladung. Die folgende Tabelle gibt einen schnellen Überblick über die Kernfunktionen.
| System | Hauptfunktion | Aktivierung | Ideale Situation |
|---|---|---|---|
| ABS | Verhindert Blockieren der Räder | Bei starkem Bremsen | Vollbremsung auf nasser Fahrbahn |
| Bremsassistent (BAS) | Maximiert Bremskraft bei zögerlichem Bremsen | Bei schnellem aber schwachem Pedaldruck | Notbremsung bei Schrecksituation |
| EBD | Optimale Kraftverteilung zwischen Achsen | Automatisch bei jeder Bremsung | Kurvenfahrt oder unterschiedliche Beladung |
In den Schweizer Alpen ist es oft die EBD, die unbemerkt die Stabilität sichert, wenn Sie in einer Kehre auf nasser Fahrbahn bremsen müssen. Das Wissen, dass diese Systeme im Hintergrund arbeiten, sollte Sie jedoch nicht zu einem riskanteren Fahrstil verleiten. Sie verschieben die physikalischen Grenzen, heben sie aber nicht auf.
Die tödliche Überhitzung: warum Dauerbremsung auf der Gotthardabfahrt zu Bremsversagen führt
Die grösste und heimtückischste Gefahr bei langen Passabfahrten ist nicht der mechanische Bruch, sondern das thermische Versagen der Bremsen, bekannt als „Fading“. Dieses Phänomen ist eine direkte Folge der Physik: Beim Bremsen wird kinetische Energie in Wärme umgewandelt. Auf einer langen Abfahrt wie vom Gotthardpass, wo über hunderte Höhenmeter konstant Energie abgebaut werden muss, kann die Temperatur der Bremsscheiben und -beläge auf über 600°C ansteigen. Bei solch extremen Temperaturen beginnt das Bindemittel im Bremsbelag zu vergasen. Es bildet sich ein dünnes Gaspolster zwischen Belag und Scheibe.
Die fatale Konsequenz ist ein plötzlicher und drastischer Abfall des Reibungskoeffizienten – der Belag kann nicht mehr richtig auf die Scheibe „greifen“. Experten sprechen hier von einem Reibwert-Kollaps. Für den Fahrer fühlt es sich an, als würde er ins Leere treten: Das Bremspedal wird weich, der Pedalweg länger, und die Bremswirkung lässt dramatisch nach, obwohl man immer fester tritt. Im schlimmsten Fall kommt es zum Totalausfall. Dieses Szenario wird durch eine falsche Bremstechnik – langes, schleifendes Bremsen statt kurzer, kräftiger Bremsungen – massiv begünstigt. Auch eine alte Bremsflüssigkeit, deren Siedepunkt durch Wasseraufnahme gesunken ist, kann bei Hitze Dampfblasen bilden und zum Versagen führen.
Die Vermeidung dieses lebensbedrohlichen Zustands erfordert eine proaktive und vorausschauende Fahrweise, die weit über das blosse Einlegen eines kleinen Ganges hinausgeht.
Ihr Aktionsplan zur Vermeidung von Bremsüberhitzung
- Intervallbremsung anwenden: Bremsen Sie kurz und kräftig vor Kurven, um Geschwindigkeit abzubauen, und lassen Sie die Bremse auf den Geraden wieder los, damit sie durch den Fahrtwind kühlen kann. Vermeiden Sie ständiges „Schleifenlassen“.
- Motorbremse konsequent nutzen: Schalten Sie manuell oder im Bergabfahrprogramm in einen niedrigen Gang. Der Motor leistet so den Hauptteil der Verzögerungsarbeit und entlastet die Betriebsbremse.
- Auf Warnsignale achten: Ein beissender Geruch, Rauch von den Rädern oder ein spürbar weicher werdendes Pedal sind akute Alarmsignale. Halten Sie sofort an einer sicheren Stelle an und lassen Sie die Bremsen abkühlen.
- Regelmässige Kühlpausen einlegen: Planen Sie bei extrem langen und steilen Abfahrten (z.B. Grimsel, Susten) bewusst einen Halt auf halber Strecke ein, auch wenn Sie keine Warnsignale bemerken.
- Bremsflüssigkeit wechseln: Halten Sie das vom Hersteller empfohlene Wechselintervall (meist alle 2 Jahre) strikt ein. Frische Bremsflüssigkeit hat einen deutlich höheren Siedepunkt.
Wie maximieren Sie die Energierückgewinnung durch angepasste Fahrweise und rekuperieren 30% mehr?
Die Maximierung der Rekuperation ist eine Kunst, die vorausschauendes Fahren auf ein neues Niveau hebt. Es geht nicht nur darum, den Fuss vom Gas zu nehmen, sondern darum, die Topografie der Strasse zu „lesen“ und die kinetische Energie des Fahrzeugs gezielt zu verwalten. Um die Energierückgewinnung zu maximieren, sollten Sie das Fahren mit dem „Ein-Pedal-Gefühl“ perfektionieren. Das bedeutet, so wenig wie möglich die mechanische Bremse zu betätigen und die Verzögerung fast ausschliesslich durch das Loslassen des Fahrpedals zu steuern. Dies erfordert Übung und Antizipation: Sehen Sie eine Kurve oder ein Gefälle voraus, gehen Sie frühzeitig vom Gas und lassen Sie den Wagen durch die Rekuperation sanft „ausrollen“ und abbremsen.

Viele moderne E-Fahrzeuge bieten verschiedene Rekuperationsstufen. Für maximale Effizienz auf Passstrassen empfiehlt sich oft die stärkste Stufe. Diese sorgt nicht nur für die grösste Energierückgewinnung, sondern auch für die stärkste Bremswirkung, was die mechanischen Bremsen schont. Besonders bei winterlichen Bedingungen mit Eis und Schnee bietet die Rekuperation einen zusätzlichen Sicherheitsvorteil: Laut BMW-Fahrinstruktor Saladin Karl bleibt das Auto bei der Verzögerung durch Rekuperation stabiler als beim klassischen Bremsen, da die Bremskräfte gleichmässiger wirken. Der Schlüssel liegt in der Sanftheit: abrupte Änderungen der Geschwindigkeit sollten vermieden werden, um die Rückgewinnung fliessend und effizient zu gestalten.
Extrembeispiel aus der Schweiz: Der Muldenkipper, der Strom erzeugt
Ein extremes Beispiel aus der Schweiz belegt dieses Potenzial eindrücklich: In einem Steinbruch in Biel ist der weltweit grösste elektrische Muldenkipper „Lynx“ im Einsatz. Das 110 Tonnen schwere Fahrzeug muss niemals extern geladen werden. Bei der talwärts gerichteten Fahrt mit 65 Tonnen Gestein rekuperiert er dank der enormen Masse mehr Energie, als er für die leere Bergfahrt benötigt. Der Energieüberschuss wird sogar ins Stromnetz eingespeist. Dies demonstriert perfekt das physikalische Prinzip der Energiewandlung in grossem Massstab.
Warum abgefahrene Bremsbeläge Ihren Bremsweg bei 80 km/h um 12 Meter verlängern: die lebensbedrohliche Verzögerung?
Die Dicke des Bremsbelags ist kein triviales Detail, sondern ein absolut kritischer Sicherheitsparameter. Ein neuer Bremsbelag hat eine Dicke von etwa 10-12 mm. Die gesetzliche Verschleissgrenze liegt in der Schweiz bei ca. 1.5-2 mm. Fährt man einen Belag bis an diese Grenze ab, verliert man nicht nur linear an Bremsleistung – die Physik des Bremsens ändert sich fundamental und lebensbedrohlich. Der Titel dieses Abschnitts nennt eine Verlängerung des Bremswegs um 12 Meter bei 80 km/h. Dies ist eine realistische Annahme unter bestimmten Bedingungen und verdeutlicht die Gefahr.
Der Hauptgrund für diese drastische Verschlechterung liegt in der reduzierten thermischen Masse. Ein dünner Bremsbelag kann viel weniger Wärme aufnehmen und ableiten als ein dicker. Das bedeutet, dass die thermische Belastungsgrenze viel schneller erreicht wird. Die Bremse überhitzt schneller, was zum gefürchteten Fading und einem drastischen Reibwert-Kollaps führt. Ein Bremsvorgang, den ein neuer Belag problemlos meistert, kann mit einem abgefahrenen Belag bereits zum Versagen führen. Zudem leitet die dünne Trägerplatte des Belags die Hitze viel direkter in den Bremssattel und die Bremsflüssigkeit weiter, was das Risiko von Dampfblasenbildung erhöht.
Die Bremsleistung ist ein systemisches Zusammenspiel, bei dem auch die Reifen eine entscheidende Rolle spielen. So zeigt der TCS Winterreifentest 2024 einen Bremswegunterschied von bis zu 7 Metern allein zwischen einem guten und einem schlechten Reifen auf nasser Fahrbahn. Kombiniert man nun einen schlechten Reifen mit einem abgefahrenen Bremsbelag, addieren sich die Defizite zu einer katastrophalen Verlängerung des Anhaltewegs. Die 12 Meter sind somit keine Panikmache, sondern eine physikalisch plausible Konsequenz von vernachlässigter Wartung.
Wie berechnen Sie Ihren realen Anhalteweg bei 100 km/h auf nasser Schweizer Autobahn?
Der Anhalteweg ist eine der am meisten unterschätzten Grössen im Strassenverkehr. Er setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: dem Reaktionsweg und dem reinen Bremsweg. Der Reaktionsweg ist die Strecke, die das Fahrzeug zurücklegt, während der Fahrer die Gefahr erkennt und zu handeln beginnt. Bei einer durchschnittlichen Reaktionszeit von einer Sekunde legt man bei 100 km/h bereits 28 Meter zurück – bevor der Fuss überhaupt die Bremse berührt. Der Bremsweg ist die Strecke, die das Auto ab dem Moment des Bremsens bis zum Stillstand benötigt.
Dieser Bremsweg ist nicht linear, sondern steigt quadratisch mit der Geschwindigkeit. Eine Verdopplung der Geschwindigkeit führt zu einer Vervierfachung des Bremswegs. Besonders dramatisch wirkt sich Nässe aus. Sie reduziert die Reibung zwischen Reifen und Fahrbahn erheblich und kann den Bremsweg im Vergleich zu einer trockenen Strasse um 50% oder mehr verlängern. Der reale Anhalteweg bei 100 km/h auf nasser Fahrbahn ist daher erschreckend lang und übersteigt oft die Länge eines Fussballfeldes. Die folgende, auf Schweizer Verhältnisse angepasste Berechnung, verdeutlicht die Distanzen.
Die untenstehende Tabelle zeigt die berechneten Werte unter der Annahme eines modernen Fahrzeugs mit guten Reifen und einer Reaktionszeit von einer Sekunde. Diese Zahlen müssen als absolute Minimalwerte verstanden werden. Faktoren wie Unaufmerksamkeit, Müdigkeit, abgefahrene Reifen oder verschlissene Bremsen verlängern den realen Anhalteweg weiter dramatisch.
| Geschwindigkeit | Reaktionsweg (1s) | Bremsweg trocken | Bremsweg nass | Gesamter Anhalteweg nass |
|---|---|---|---|---|
| 50 km/h | 14 m | 12.5 m | 19 m | 33 m |
| 80 km/h | 22 m | 32 m | 48 m | 70 m |
| 100 km/h | 28 m | 50 m | 75 m | 103 m |
| 120 km/h | 33 m | 72 m | 108 m | 141 m |
Das Wichtigste in Kürze
- Systemisches Denken: Verlassen Sie sich nicht auf eine einzige Technik. Maximale Sicherheit entsteht durch das Zusammenspiel von Motorbremse, Intervallbremsung, elektronischen Assistenten und Rekuperation.
- Hitze ist der Feind: Die grösste Gefahr auf Passstrassen ist das thermische Bremsversagen (Fading). Eine angepasste Fahrweise zur Kühlung der Bremsen ist überlebenswichtig.
- Wartung ist nicht verhandelbar: Abgefahrene Bremsbeläge und alte Bremsflüssigkeit reduzieren die Sicherheitsreserven dramatisch und können zum Totalausfall führen. Regelmässige Kontrolle ist Pflicht.
Wann der Wechsel der Bremsbeläge überlebenswichtig wird und wie Sie den richtigen Zeitpunkt erkennen
Der rechtzeitige Wechsel der Bremsbeläge ist die wichtigste präventive Massnahme, die Sie als Fahrer ergreifen können, um die volle Leistungsfähigkeit Ihrer Bremsanlage zu garantieren. Sich auf die vom Hersteller angegebenen Serviceintervalle zu verlassen, kann trügerisch sein, da der Verschleiss extrem vom individuellen Fahrprofil abhängt. Häufige Fahrten im Stadtverkehr mit ständigem Stop-and-Go oder regelmässige, anspruchsvolle Passfahrten im Appenzell oder Wallis beschleunigen den Abrieb massiv. Daher ist die regelmässige eigene Kontrolle unerlässlich, um den kritischen Punkt nicht zu verpassen.
Es gibt mehrere klare Indikatoren, die auf einen notwendigen Wechsel hinweisen. Viele moderne Fahrzeuge verfügen über eine elektronische Verschleissanzeige, die im Cockpit aufleuchtet. Verlassen Sie sich aber nicht allein darauf. Akustische Signale sind oft der erste Hinweis: Ein hohes, quietschendes Geräusch beim Bremsen wird oft durch einen kleinen Metallstift, den akustischen Verschleissanzeiger, verursacht, der bei geringer Belagstärke an die Bremsscheibe kommt. Ein dumpfes, mahlendes Schleifgeräusch ist ein absolutes Alarmsignal – hier reibt bereits die metallische Trägerplatte des Belags auf der Scheibe, was zu teuren Folgeschäden führt.
Die zuverlässigste Methode ist die visuelle Kontrolle. Oft kann man durch die Speichen der Felgen die Dicke des äusseren Bremsbelags erkennen. Als Faustregel gilt: Beträgt die Belagstärke weniger als 3 Millimeter, sollte der Wechsel umgehend geplant werden. Ein längerer oder weicherer Pedalweg kann ebenfalls auf verschlissene Beläge oder Probleme mit der Bremsflüssigkeit hindeuten. Das Ignorieren dieser Zeichen ist grob fahrlässig und kann im entscheidenden Moment den Unterschied zwischen einem sicheren Halt und einer Katastrophe ausmachen.
Die Verantwortung für eine funktionierende Bremsanlage liegt letztlich bei Ihnen. Warten Sie nicht auf die nächste Motorfahrzeugkontrolle (MFK). Überprüfen Sie Ihre Bremsen regelmässig und investieren Sie rechtzeitig in neue Beläge und Flüssigkeit. Es ist eine der wichtigsten Investitionen in Ihre eigene Sicherheit und die der anderen Verkehrsteilnehmer. Vereinbaren Sie bei Unsicherheiten oder Warnsignalen umgehend einen Termin in Ihrer Fachwerkstatt für eine professionelle Inspektion.
Häufig gestellte Fragen zum Bremsenverschleiss
Wie oft sollten Bremsbeläge bei normaler Nutzung gewechselt werden?
Je nach Fahrweise und Streckenprofil liegt das Intervall zwischen 30’000 und 70’000 Kilometern. Bei häufigen Bergfahrten ist ein deutlich früherer Wechsel notwendig und zu empfehlen.
Was kostet ein Bremsbelagwechsel in der Schweiz?
Die Kosten variieren je nach Fahrzeugmodell und Werkstatt erheblich. Rechnen Sie mit Kosten zwischen 200 und 500 CHF pro Achse für Material und Arbeit.
Kann ich mit abgefahrenen Bremsbelägen die MFK bestehen?
Nein. Bremsbeläge mit einer Stärke von unter 1.5 Millimetern gelten als schwerer Mangel und führen unweigerlich zum Nichtbestehen der Motorfahrzeugkontrolle in der Schweiz.